BLOG - FÃœRCHTET EUCH NICHT !

Herzlich willkommen auf dem komischsten Angst-Blog der Republik!

Hier lernen Sie das richtige Fürchten: Liebevollen Umgang mit den eigenen Phobien und offene Konfrontation mit den erzeugten Schrecken unserer Zeit.

In loser Folge veröffentlicht Lutz von Rosenberg Lipinsky hier Texte zu alltäglichen Phobien, kommentiert die neuesten politischen Panikattacken und teilt Ausschnitte aus seinen Programmen.


 

HKX

Veröffentlicht von von A.voRoLi am 26.09.2012
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Ein Konzept, dass auch die selige Originalbahn schon verlustmachend ausprobiert hat. Aber warum soll man von anderen lernen?!! Zugegeben: Die Preise sind andere als damals im Metropolitan und zwar deutlich billiger. Es war mir ohnehin ein Rätsel, was Köln mit Metropole zu tun haben soll. Die Hauptstadt der Chauvi-Zote!?! Als Endstation einer Discountbahn macht RTL-City deutlich mehr Sinn.

Das Positive vorweg: Es war Platz. Die Sitze waren nicht zu dicht beieinander und der Zug ist auch meist nicht voll. Die Gänge sind ebenfalls breit genug - sogar die übergewichtige Russin passte durch die Türen. Als sie allerdings ihren Wagen holte und plötzlich "Gaffäh! Däh!" schrie, kamen in mir unwohlige Erinnerungen hoch an das Jahr 1988, als ich mit einem IC erstmals den Ostblock bereiste. Und dann aus dem Zug geholt und stundenlang in einem kalten Hinterzimmer verhört wurde...
Kein Wunder: Keiner bestellte etwas. Alle hatten Angst. Sogar der schanzige iPad-Junkie neben mir verzichtete, obwohl er im Gegensatz zu mir weder Essen noch Getränke mitführte. Gastronomisch muss HKX definitiv als rollendes Studentenfutter bezeichnet werden. Vom Angebot her. Der  Service hatte eher was von Gulag.

Auch die permanent wiederholte Durchsage: "Wir akzeptieren nur unsere eigenen Fahrkarten, verdammte Hacke!!" trug nicht gerade zur Wohlfühlatmosphäre bei.

HKX fährt passenderweise mit Waggons der Sowjetarmee, in denen Gefangene nach Sibirien deportiert wurden. In den 30er Jahren. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden sie als Baumberge-Bummel-Bahn für Touristen im westlichen Münsterland eingesetzt, die damit direkt zu Bauer Ewald in die Schnitzelei gefahren wurden. Anschliessend wurden sie im Stellwerk Geesthacht ausgeschlachtet und an HKX verkauft (also, die Waggons, nicht die Touristen).

Alte Waggons, SEHR alte Waggons. Was man dann aber auch irgendwie irgendwann schön findet - es roch wie im Wohnzimmer meiner Eltern. Nur leider rauchte niemand. Und der Kommunismus war nicht da draußen. Er war hier!
Denn es gab nichts. Nicht nur nichts zu essen, auch keinen Strom. Steckdosen sind was für Kapitalistenschweine. Und ein Netz gab es auch nicht.

Telefonieren? Pah! Zweimal wurde versucht, mich anzurufen. Beide Male konnte ich kurz schreien: "Vergiss es! Ich in im HKX! Sag meiner Frau, dass ich sie....", bevor die Verbindung schon wieder getrennt wurde. Der iPad-Nerd neben mir starrte paralysiert auf seinen schwarzen Offline-Screen. Er wollte keinesfalls der Russin gegenüber den Eindruck erwecken, er fühle sich nicht wohl hier.
Alle anderen lasen Bücher und taten so, als wäre das heutzutage normal.

Das ist wohl dieses Stockholm-Syndrom: Die Angst kippt um in Vertrauen, weil der Mensch sonst zerbräche. Wenn  der Druck unerträglich wird, solidarisiert sich das Opfer irgendwann mit dem Entführer. So auch hier. Plötzlich hatten sogar die Durchsagen nicht nur Erschreckendes, sondern teilweise etwas herrlich Altmodisches, Vertrautes: "In ein paar Minuten erreichen wir Bremen." Wahrscheinlich heißt das Cockpit noch Führerhäuschen und dort steht ein Wecker mit ganz großen Ziffern. In Bremen zumindest gibt es die überall noch.

Da wir logischerweise nicht ganz rechtzeitig Hamburg erreichten, wurde kurzerhand beschlossen, den zwischen Hauptbahnhof und Altona liegenden Halt Dammtor einfach auszulassen. Damit man bei der Endstation wieder pünktlich ist. Ich liebe diesen Kommunismus!! Ausgebufft, diese Planwirtschaftler!

Außerdem werden im Sozialismus Fahrkarten weder gelocht noch gestempelt oder gescannt oder auf eine andere Weise entwertet. Das heisst: Ihr könnt Euch das Ticket teilen und einfach parallel zur Schaffnerin durch die Reihen geben. Das macht die Reise endgültig zu einem Event.

HKX: Kalter Krieg auf Rädern. Wegen dieser herrlichen Nostalgie-Reise möchte ich Euch das sehr empfehlen.

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